1 PS statt 80

Für zwei Tage tauschen wir unseren geliebten Ferdinand gegen ein Maultier ein. Da wo wir hin wollen, bringt uns der Blaue nicht weiter. Wir packen also Zelt, Schlafsäcke, Wasser und Proviant auf den Vierbeiner und machen uns gemeinsam mit unserem Freund Hammou und dessen älterem Bruder auf den Weg in die schroffe Berglandschaft des Djebel Saghro.

Hammou habe ich vor zwei Jahren kennen gelernt, als ich mit zerschellter Windschutzscheibe in N'kob gelandet bin. Damals habe ich ihn für zwei Tage als Bergführer angeheuert, um mir die Zeit zu vertreiben, bis das passende Ersatzteil zur Verfügung stand. Hammou ist als eines von vielen Kindern einer Nomadenfamilie aufgewachsen und hat als einziger der ganzen Sippe nicht nur Abitur gemacht, sondern auch noch studiert! Zwar hat seine Familie die Wanderschaft vor acht Jahren aufgegeben, weil seine mittlerweile verstorbene Großmutter zu alt wurde für dieses anstrengende Leben. Doch ein Teil der Sippe lebt noch mit den Ziegen in einer Art Basis-Camp, bestehend aus einem Zelt und mehreren minikleinen Steinhüttchen. Und genau dort wollen wir hin.

Zunächst schaukeln wir mit Ferdinand von N'Kob aus über die Piste zu einem der Hochtäler im Gebirge. Hier lebt Hammous ältester Bruder und bewirtschaftet einen Bergoasengarten. Und hier wartet auch unser Maultier auf uns. Wir geben Ferdinand in die Obhut der Familie und dann wird erstmal literweise Tee getrunken – nicht nur, weil das eben dazu gehört, sondern weil wir abwarten müssen, bis die größte Mittagshitze vorbei ist, bevor wir uns an den Aufstieg machen.

Doch auch am frühen Nachmittag brennt die Sonne hier ganz schön, und so kommen wir untrainierten Städter ganz schön ins Schnaufen – zumal wir in der letzten Zeit eben doch mehr gefahren sind, als uns aus eigenem Antrieb fortzubewegen. Die Anstrengung wird belohnt durch atemberaubende Ausblicke auf zerklüftete Bergkämme, steile Schluchten und bizarre Basaltformationen, die vom vulkanischen Ursprung des Gebirges zeugen.

Natürlich wussten wir vorher schon, dass in dieser kargen Gegend Menschen leben. Doch jetzt, wo wir sie besuchen wollen, wird es uns noch viel bewusster. Mit unseren europäischen, vom saftigen Grün unserer Wälder und Wiesen verwöhnten Augen sehen wir uns um und schwanken zwischen Faszination und Fassungslosigkeit: Wo finden Menschen und Tiere hier ihre Lebensgrundlage? Wasser gibt es nur in kleinen, im Schatten gelegenen Gumpen, in denen sich das Regenwasser sammelt. Und von den wenigen Pflanzen, die wir erspähen, können wir uns kaum vorstellen, dass sie ganze Ziegenherden ernähren sollen.

Doch irgendwie scheint es möglich zu sein. Als wir nach vierstündigem Aufstieg ankommen, kehren gleichzeitig zwei von Hammous Geschwistern mit den rund 150 Ziegen der Familie zurück – unter großem Gemeckere, vor allem der Kleinsten, die den Tag getrennt von ihren Müttern beim Camp verbracht haben. Wir setzen uns im Windschatten eines kleinen Mäuerchens, das auch als Regal für allerhand Krams dient, zum Tee, der – ebenso wie alle Speisen – auf einem kleinen Feuer neben dem Zelt bereitet wird. Schnell bemerken wir, wie sehr die Tiere im Zentrum des Lebens hier in den Bergen stehen: Sie sind immer mit dabei, kraxeln auf den Felsen über uns, auf dem Zeltdach  und eine sogar auf Stephan herum, schnuppern neugierig an unserem Gepäck und versuchen von den Lebensmittelvorräten zu naschen.

Im Gegensatz zu Maultier und Esel hat jede Ziege einen Namen – auch wenn die Kleinen immer nach der Mutter benannt werden, die Namensgebung sich also sehr wiederholt. Insbesondere die Winterzicklein haben eine enge Bindung zu den Menschen – sie müssen in der harten Jahreszeit gepäppelt werden und erschleichen sich dabei das eine oder andere Privileg. Von einer Ziege erfahren wir, dass sie Teeblätter liebt und pünktlich zur Stelle ist, wenn das starke Heißgetränk  gebraut wird.

In aller Ruhe – wenn man mal von umherkraxelnden Ziegen absieht – verbringen wir den Abend mit Hammous Familie, essen gemeinsam und erzählen uns von unseren so unterschiedlichen Leben. Wir erfahren viel über den harten Alltag in den Bergen und auch darüber, dass die Familie das Camp und das Leben mit den Ziegen gerne aufgeben würde, um gemeinsam mit dem ältesten Bruder den Oasengarten zu bewirtschaften. Das sei aber momentan nicht möglich: In den letzten Jahren fiel deutlich zu wenig Regen, und die Tiere sind nicht fett genug um einen vernünftigen Preis zu erzielen. Der Verkauf würde einen zu hohen Verlust bedeuten, beziehungsweise nicht genügend Geld einbringen, um den Grundstock für eine neue Lebensform zu bilden.

Wir spüren deutlich, dass es keinen Anlass gibt, das naturnahe Leben der Nomaden zu romantisieren. Dennoch haben wir nicht den Eindruck, dass sie unglücklich oder unzufrieden sind mit ihrem Los. Und noch etwas geht uns durch den Kopf: Vor unserem Aufbruch in die Berge haben wir eine E-Mail bekommen, die uns befürchten lässt, dass wir unser Lager verlieren, in dem wir all unsere Habseligkeiten aufbewahren (Zum Glück hat sich die Sache geklärt, und wir stehen nicht Anfang Mai mit Kisten, Kühlschrank, Sofa und Co auf der Straße). Als wir uns umblicken wird uns klar, dass eine solche Nachricht Hammous Familie kaum schockieren könnte. Schnell hätten sie alles zusammengepackt und auf Lasttiere und Menschen verteilt. Zu viel Besitz macht eben unfrei!

Nach einem langen Tag voller neuer Eindrücke kuscheln wir uns schließlich ins Zelt – umringt von rund 150 Ziegen, die die ganze Nacht meckern (bis auf eine, die offensichtlich träumt, sie wäre eine Kuh) und – wer hätte das gedacht? – in einer Tour pupsen!

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