Wie penetrant kann man eigentlich sein? Dass in Marokko ein „Nein“ nicht so ohne Weiteres akzeptiert wird, wussten wir ja schon. Insbesondere, wenn jemand etwas zu verkaufen hat. Aber das hier geht wirklich zu weit. Über viele Kilometer folgen uns Fahrzeuge: Mal hängen sie hinten an der Stoßstange, mal setzen sie sich vor uns. Dann preschen sie wieder los, damit Fahrer und Beifahrer in einer Haltebucht aus dem Auto springen und mit ausladenen Gesten signalisieren können, dass es hier etwas zu kaufen gibt. Und je öfter sich die Szene wiederholt, desto ausladender werden die Gesten. Könnte ja sein, dass wir einfach nicht verstanden haben, was hier feilgeboten wird. Richtig: es handelt sich um lokale Agrarprodukte des Rifgebirges.
Aber beginnen wir von vorne. Nach einer ruhigen und sonnigen Überfahrt, begleitet von ungezählten Delfinen erreichen wir in Ceuta den afrikanischen Kontinent. An der Grenze gibt es Stress. Der Beamte zickt, will unsere Pässe nicht entgegen nehmen, er behauptet, mich nicht zu verstehen und empfiehlt, mir einen „Helfer“ zu suchen. Soweit kommt es noch. Ich frage mich lieber durch und bekomme Unterstützung von oben. Es ist ausgerechnet eine Frau, die hier offensichtlich das Sagen hat. Wie peinlich für den Blödmann, aber das geschieht ihm recht. Er nimmt – zwangsläufig – endlich unsere Pässe entgegen, um gleich darauf Theater zu machen, weil ich einen anderen Beruf angegeben habe als im System abgespeichert. Dass man Berufe wechseln kann, davon hat er wohl noch nichts gehört. Als ich ihm schließlich erkläre, dass ich momentan gar nicht arbeite, sondern ausschließlich die Mutter meines Babys bin, scheint er versöhnt und greift endlich zum Stempel und wir machen uns nach ein wenig hin und her beim Zoll – es weiß mal wieder der eine nicht, was der andere tut, und es bedarf eines Dritten und dessen Unterschrift um den finalen Stempel zu bekommen – auf den Weg nach Chefchaouen. Hier ist für uns einfach einer der besten Orte, um in Marokko anzukommen.
Nach ein paar Tagen Einstimmung und einem ersten leckeren Freitagscouscous in Chefchaouen geht es weiter durch das schöne Tal des Oued Laou und und dann entlang der Mittelmeerküste einen ersten Schlenker in den Osten und in einer großen Kurve wieder zurück. Der Plan ist, mal ein paar für uns neue Ecken zu erkunden, und uns ein bisschen durchs Rif-Gebirge zu schlängeln. Kurz vor Ketama kommen uns Zweifel:. Vom Straßenrand her häufen sich die eindeutigen Verkaufsangebote. Ein erster Mercedes heftet sich mal vorne, mal hinten sich an unsere Stoßstange und dreht erst kurz vor Ketama endlich ab. Offensichtlich ist seine Reviergrenze erreicht.
Ketama selbst empfängt uns so düster und schmuddelig wie im Lonely Planet beschrieben. Und das will was heißen. Stephan will anhalten und Cola kaufen. Ich streike und drohe ihm an, ohne ihn weiterzufahren, wenn er aussteigt. Ich bin wahrhaftig kein ängstlicher Typ, aber hier fühle ich mich unwohl. Und allein die Vorstellung, dass er zum Kiosk geht – von Haschischverhäufern umringt – während ich mit Lotta im Auto warte – von Haschischverkäufern umringt – NEIN, DANKE!
Stephan sieht bereits wenige Kilometer nach Ketama ein, dass ich Recht hatte. Die „Verkaufsfahrzeuge“ lösen sich regelmäßig ab, wer nicht Auto fährt, winkt mit eindeutigen Gesten vom Straßenrand. Einer sieht uns aus dem Augenwinkel kommen, dreht sich um und zieht schnell einen Klumpen aus der Jacke, so groß wie eine Milchtüte. Ein andermal gehen zwei fast aufeinander los. Offensichtlich hat da jemand versucht, im Revier des anderen zu wildern. Wir werden langsam schon paranoid und denken, dass jeder, der mit dem Handy an der Straße steht, seine Kumpels über unser kommen informiert. Wahrscheinlich liegen wir damit sogar richtig. Es ist mehr als lästig und von der eigentlich schönen Landschaft – Schroffe Felsen, tiefe, zerklüftete Täler und vereinzelte Zedern – bekommen wir nur wenig mit, weil wir uns voll auf die Straße konzentrieren müssen. An Fotostops ist nicht zu denken.
Was auffällt: Auf der Straße sehen wir über viele Kilometer nur Männer. Von Frauen keine Spur – ebenso wenig von der Polizei – und das, wo die „Grauen“ und „Blauen“ hier in Marokko doch sonst überall mit ihren weißen Handschuhen wedeln. Ein paar kleine Jungs, die in all dem Chaos versuchen, am Straßenrand Walnüsse zu verkaufen, können einem regelrecht leid tun.
Irgendwann ist der Spuk plötzlich vorbei. Und als wir in Taounat den ersten Polizisten durch den Kreisverkehr winken sehen, wissen wir, wir haben es geschafft und können uns um einen Übernachtungsplatz kümmern. Was bleibt, ist die Frage ob wir wirklich einen weiteren Schlenker ins Rif-Gebirge wagen sollen. Andererseits, so unsere Überlegung, lauern die Verkäufer wahrscheinlich nur an der Nationalstraße, wo eher mit potentieller Kundschaft zu rechnen ist.
Wir beschließen zu fahren – umdrehen können wir immer noch – und bereuen die Entscheindung nicht. Das Straßenbild ist normal (Männer, Frauen, Kinder, Hunde, Esel, Polizisten), die Menschen unaufdringlich und hilfsbereit. Die meisten grüßen nur erstaunt von Weitem. Kinder hüpfen aufgeregt winkend am Straßenrand auf und ab – ganz ohne Stylos, Dirams, Bonbons zu fordern. So tuckern wir durch einsame Berglandschaften und finden: Der Abstecher ins Rif hat sich gelohnt.
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