Statt eines Reiseblogs ein Rundbrief, den ich damals verschickt habe. Wem der Text am Bildschirm zu lang ist, findet ihn hier als pdf:
Ich bin mir nicht sicher, ob diese Anrede den Marokko-Erfahrenen unter Euch ein breites Grinsen ins Gesicht malt oder doch eher die Nackenhaare sträuben lässt. Ich jedenfalls bin nach knapp sechs Wochen in diesem Land an einem Punkt, an dem ich's nicht mehr hören kann. Und noch weniger geht: "Madame donne moi un bonbon/stylo/dirham/odersonstirgendeinScheiß"! (Gestern deutete doch glatt einer – und er war sicher schon 15 – auf den Drachen, der meist auf meinem Beifahrersitz hockt, und meinte: "Donne moi ça!"). Aber ich will nicht undankbar sein, denn immerhin trage ich keinen Bart, so dass mir das ständige "Ali Baba" (an dieser Stelle einen besonderen Gruß an meinen Vater) erspart bleibt, das einen netten Österreicher, mit dem und dessen Freundin ich in den letzten 2 Wochen weitgehend gereist bin, auf die Palme treibt. Tja, Männer, ich kann Euch nur raten Euch zu rasieren, bevor ihr nach Marokko reist...
Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Abseits der Touristenzentren, und teilweise auch dort, sind die Marokkaner absolut liebenswerte, freundliche und äußert hilfsbereite Menschen und es stellt auch absolut kein Problem dar, als Frau alleine unterwegs zu sein. Und Nervsocken gibt es schließlich überall! Außerdem haben die Leute Humor, den sie gerade dann immer wieder beweisen, wenn man ihnen mit ihren eigenen albernen Verhaltensweisen kommt.
So vor wenigen Tagen, als ich mit Katja und Andi, besagtem deutsch-österreichischem Pärchen, in der Nähe von Erfoud im absoluten Nirgendwo genächtigt habe. Wir saßen noch – wohlgemerkt wegen der morgens eher frischen Temperaturen im Auto – beim Frühstück, als durch die Steinwüste ein Mofa angeknattert kam, darauf ein Marokkaner in blauer Nachthemd-Verkleidung, der unweit von uns in aller Seelenruhe seine Fossilien ausbreitete, um diese zum Verkauf anzubieten. Andi, der in den Tagen davor selbst Fossilien aller Art in Rauen Mengen erstanden hatte, mit denen er in Deutschland auf Märkten und Festivals sein Geld verdienen will, schnappte wild entschlossen einen Teppich, wickelte sich ein Tuch um den Kopf und setzte sich neben den Mann im Nachthemd und bot ebenfalls seine Amonitenanhänger feil. Ein wenig später habe ich mich dann mit ein paar alten Klamotten, die ich zum Verschenken an Bord habe, dazu gesellt. Als schließlich ein weiterer "echter" Händler kam, war dieser sichtlich irritiert und reihte sich aber, nachdem ich ihm erklärt hatte, es sei gut dass er kommt, denn schließlich sei heute Souk, etwas verlegen mit ein... Das ganze Spektakel endete damit, dass ich von Ali, dem ersten Verkäufer, für meine Kleidung eine hübsche Fossilienschale bekam, und er uns außerdem für den Abend zum gemeinsamen Tajine-Kochen eingeladen hat. Eine Einladung, die wir natürlich gerne annahmen!
Ja, die Marokkaner sind schon ein seltsames Völkchen. So passiert es, dass man beim Obst- und Gemüsehändler nach dem Preis für ein Kilo Orangen erkundigt, und als Antwort "Hundert" zu hören bekommt. In solchen Momenten stellt sich kurz die Frage, ob man an den eigenen Französisch- respektive Arabischkenntnissen zweifeln soll oder doch lieber am Verstand des Verkäufers. Denn mit umgerechnet 10 Euro wären 100 Dirham ein mehr als unverschämter Preis. Doch schon fällt der mittlerweile etwas erfahrenen Marokkoreisenden wieder ein: Der Händler rechnet natürlich in Rial! Der Dirham wurde schließlich erst vor rund 25 Jahren eingeführt und so schnell kann sich ja nur wirklich niemand an eine neue Währung gewöhnen!!! Also flugs durch 20 geteilt und schon hat man mit 5 Dirham – also 50 Cent – den korrekten Preis berechnet, kann beruhigt seine Orangen kaufen und das Vertrauen in die Lebensmittelverkäufer ist auch wieder hergestellt. Diese sind nämlich absolut ehrlich, haben Festpreise und versuchen auch bei Touristen keinen Extraverdienst zu machen. Einmal ist mir sogar ein Gemüsehändler quer über den Platz nachgelaufen, und brachte mir die 1,5 Dirham (15 Cent oder, wir üben nochmals, 30 Rial), um die er sich zu meinen Ungunsten verrechnet hatte.
Bevor ich mich aber weiter über die Eigenheiten der Marokkaner ausbreite, will ich einen kurzen Überblick über meine bisherige Reise geben: Los gings am Montag, 19. Januar, am Nachmittag und die darauffolgenden Tage, habe ich bis auf Schlaf- und kurze Erholungspausen in erster Linie auf der Autobahn verbracht. Die Fahrt gen Süden ging deutlich schneller als ich erwartet hatte, und so war ich bereits am Mittwoch am späten Nachmittag in der Region um Almeria, wo ich bei Jan (ein Freund aus Hamburg) und Luise, die sich gerade mit Freunden in Südspanien aufhielten, einen Tag Fahrpause eingelegt habe. Am Freitag ging's dann weiter nach Algeciras, dort direkt zum Fährhafen und noch am selben Tag nach Marokko.
Auf der Fähre habe ich René und Roman, zwei Brüder aus der Schweiz, und Romans deutsche Freundin Christiane kennen gelernt, die auf dem Weg in den Senegal waren. Mit den dreien habe ich kurz hinter Tanger die erste Nacht verbracht, was sich für uns alle als glückliche Fügung erwies: Als ich am nächsten Morgen aus meinem Auto kam, saßen die Drei bereits mit langen Gesichtern beim Kaffee und hielten Krisensitzung. Der olle Fiat mit Womo-Aufbau, mit dem sie bereits eine Woche in Granada in der Werkstatt gestanden hatten, hatte Öl im Kühlwasser, was in der Regel nichts Gutes heißt. Da René aber dringend in den Senegal musste, weil er unter anderem seinen Chef in Dakar treffen sollte, war rasch die Entscheidung getroffen, dass Roman und Christiane mit dem Fiat zurück nach Spanien fahren, während ich René bis Agadir mitnehme. So hatte ich plötzlich Mann und Hund (Chinzo, 's mikroskopisch chline chlinscht Hündli) an Bord und eine recht lustige Weiterfahrt, die uns auf schnellstem Wege vom regnerisch-kalten Norden in den sonnigen Süden Marokkos führte.
In Agadir angekommen – wir waren gerade am überlegen, wo wir uns am geschicktesten trennen, damit beide ohne großen Aufwand weiterreisen können – meldeten sich überraschend Roman und Christiane, die sich nach erfolgreichem Werkstattbesuch bereits wieder in Marokko befanden, und nun wirklich in einem Affenzahn in Richtung Süden unterwegs waren. Gemeinsam verbrachten wir dann einige schöne Tage in Tafraoute im Antiatlas, bevor sich unsere Wege diesmal wirklich trennten. Der Fiat – für diese Region der Welt ein denkbar ungünstiges Auto – hat übrigens gehalten: Ich habe mittlerweile Nachricht bekommen, dass die Drei gut im Senegal angekommen sind.
Für mich ging es weiter in Richtung Zagora, um endlich Maria zu treffen, mit der ich ja eigentlich einen guten Teil meiner Reise verbringen wollte. Nun, es gibt Entscheidungen, bei denen man sich hinterher fragt, ob sie wirklich so klug waren: Zum einen hätte ich mir mehr Zeit für den Antiatlas gewünscht (wo bei ich einräumen muss, dass es, nachdem ich weg war, im Antiatlas nochmals ordentlich geschneit hat) und zum anderen folgte eine Zeit, die vor allem viel Aufregung und Stress mit sich brachte.
Zuerst ging – vermutlich durch einen Steinschlag durch einen entgegenkommenden LKW – meine Windschutzscheibe kaputt und zum dann gab es auch noch eine Menge Ärger wegen Maria. Doch auf diese wirklich unschöne Geschichte will ich an dieser Stelle nicht näher eingehen. Dem ADAC sei Dank ließ sich aber alles lösen: Mein Auto hat eine neue Windschutzscheibe, und Maria wurde samt Auto nach Deutschland gebracht.
Bei all dem Unangenehmen in dieser Zeit habe ich gleichzeitig viel Schönes erlebt und die ehrliche Hilfsbereitschaft der Menschen in Südmarokko erfahren, insbesondere in dem Dorf N'kob (es verfügt immerhin über einen Campingplatz und hat laut Reiseführer die meisten Kasbahs auf einem Haufen). Ich war zwei Tage in den Bergen des Djebel Saghro unterwegs und habe, nachdem der ADAC mich nach Agadir abgeschleppt hatte und mein Auto repariert war, einige lustige Tage in Tamraght bei Hassan verbracht, einem Freund von Maria und deren Freunden Ariane und René, die derzeit ebenfalls für mehrere Monate in Marokko sind und gerade bei Hassan waren. Dort habe ich unter anderem gelernt, wie man nach marokkanischen Regeln Rommé spielt...
Als ich dann endlich wieder auf der Piste war, um meine Reise wie geplant fortzusetzen, gab es erstmal ein großes Hallo, als ich erneut auf dem Campingplatz in N'kob einrollte. Die Frauen der Familie saßen gerade in einem der für die Gäste aufgebauten Berberzelt zusammen, tranken Tee und tratschten (Tratschen heißt auf Tamazight übrigens "Ibergagen" – mein neues Lieblingswort, mit dem man bei den Berbern, oder besser Amazight, immer punkten kann) und ich wurde sofort eingeladen, mich dazu zu gesellen. Zum Glück hatte ich in Agadir Schokolade gekauft, so dass ich nicht mit leeren Händen dastand. Die Hände wurden mir dann übrigens mit Henna bemalt und irgendwann drückte man mir noch das jüngste Baby der Familie in den Arm. Da wurde mir bewusst, dass Marokko ein wahrhaft gefährliches Pflaster ist: Ruck-zuck sitzt man in einem Zelt, hat Henna an den Händen und ein Baby auf dem Arm... ;-)
Von N'kob aus führte mich meine Reise dann weiter in Richtung Osten, in die Region von Erfoud, Rissani und Merzouga, wo ich mit Andi und Katja verabredet war, die ich unterwegs kennen gelernt hatte. Wir verbrachten einige Tage am Riff um selbst Fossilien zu sammeln, die zum Teil einfach so auf dem Boden liegen, und ich konnte bei den Sanddünen vom Erg Chebbi auch endlich mal ein bisschen entspannen. Wir hatten in dieser Zeit viele nette Begegnungen und Einladungen, die unvergessen bleiben. Zuletzt sind wir gemeinsam in Richtung der "Straße der Kasbahs" gereist, waren in der Todra-Schlucht und heute in Boulmaine du Dades beim Souk.
In Boulmaine haben sich unsere Wege heute vorerst getrennt, da ich ein langsameres Tempo einschlagen und unbedingt auch in die Dades-Schlucht fahren wollte. Für mich war dies die richtige Entscheidung, denn während es in der Todra-Schlucht von Touristen nur so wimmelt und man vor lauter Tüchern, die zum Verkauf angeboten werden, die eigentliche Sehenswürdigkeit kaum noch sieht, geht es hier viel ruhiger zu und auch das Tal selbst wirkt noch sehr ursprünglich. Ich habe mich daher entschieden, die Nacht hier auf einem winzigen Campingplatz zu verbringen, der oberhalb der Oasengärten und gegenüber von spektakulären Felsformationen liegt. Morgen geht die Reise weiter zu den Kasbahs von Skoura und Aït Benhaddou. Danach möchte ich – diesmal in gemütlicherem Tempo – nochmals eine Schleife durch den Antiatlas drehen (den Hohen Atlas habe ich wegen Schnee und Kälte auf die nächste Reise verschoben) und werde dann wahrscheinlich der Küste entlang nach Essaouira fahren, um dem Städtchen, nachdem mir so viele Leute davon vorgeschwärmt haben, nun doch nochmals eine Chance zu geben, und wo ich wahrscheinlich auch Andi und Katja wieder treffe.
Ich bin, wie der eine oder andere vielleicht schon bemerkt hat, von meinem ursprünglichen Plan abgewichen, auch noch einige Wochen in Südspanien zu verbringen. Das liegt zum einen an den wenig einladenden Wetterbedingungen in Europa und zum anderen daran, dass ich mich hier in Marokko sehr wohl fühle und es noch viel zu entdecken gibt.
Ferdinand (das blaue Auto hat mittlerweile einen Namen bekommen) erweist sich als treuer Reisegefährte, und ich hatte hier schon einen Schweizer "Ehemann" (Tja, Jürg, das wird wohl langsam zur Tradition, dass man mir in Arabischen Ländern einen Schweizer Gatten zuschustert) sowie einen Bruder aus Österreich. Einen Ehemann in Deutschland habe ich sowieso, der wahlweise auch mal in Agadir oder in Casa ist, um irgendwelche Papiere für uns zu regeln... ;-) Dazu "besitze" ich mehrere Häuser, einen Campingplatz und einen Souvenirladen der unter anderem tolle Teppiche führt (Die würden sich hier ganz schön umsehen, wenn mal einer ewiges "tu est chez toi – c'est ta maison maitenant" wörtlich nehmen und darauf pochen würde)... Ich habe dem Boule-Weltmeister die Hand geschüttelt, habe Teppiche, Silbertabletts und andere schöne Dinge erstanden, und ich habe jede Menge neue Reisepläne im Kopf!
Viele liebe Grüße und bi-slema
Steffi